Warum Stricken die Welt (ein kleines bisschen) besser macht

Kolumne – von Martina Behm

Wärme, Liebe, Zuversicht

Warum Stricken die Welt (ein kleines bisschen) besser macht

Seit kurzem ist Stricken wieder politisch, denn die Trägerinnen pinkfarbener Protestmützen haben endlich das vielbelächelte Klischee vom bauschbärtigen Alternativen mit Strickzeug in den Händen abgelöst. Aber dass Stricken wirklich etwas dazu beitragen kann, hier auf diesem Planeten die Dinge zum Besseren zu wenden... nee, oder?
Doch. Es fängt schon damit an, dass Stricken, egal wie verrückt und hoffnungslos es da draußen in der Welt mal wieder zugehen mag, ein Akt der Zuversicht ist. Stricken ist wollegewordener Optimismus: Wir stricken, weil wir etwas erschaffen wollen. Den Strang Wolle zu wickeln, sich für eine Anleitung zu entscheiden und Maschen anzuschlagen, zeigt, dass wir glauben, dass wir den Pulli oder die Mütze irgendwann fertig stellen werden, dass sie jemand tragen wird, und dass es sich gut anfühlen und schön aussehen wird.
Wer strickt, schenkt nicht nur sich selbst Wärme, sondern kann auch Freunde und Familie mit Socken, Fäustlingen und Tüchern ausstatten. Die Tauf-
decke, die meine Oma für mich gestrickt hat, habe ich immer noch und auch die Topflappen, die meine Urgroßmutter gehäkelt hat. Hätten die beiden ihre Freizeit beim Motocrossfahren verbracht, würde ich wahrscheinlich keine so schönen Andenken an sie haben. Mit Kite-Surfing oder Kugelschreibersammeln Zuneigung auszudrücken, ist deutlich schwieriger als mit Stricken oder Häkeln.
Meine Oma war es auch, die mir geholfen hat, meine allererste Socke fertig zu stricken – ein tolles Erfolgserlebnis! Ein paar Tage zuvor hatte ich nur ein Garnknäuel, und wie das mit der Ferse funktionieren sollte, war mir ein Rätsel. Ich musste mir eingestehen, dass ich Hilfe brauchte. Nicht sofort aufgeben, im richtigen Moment Rat suchen (sei es bei Oma oder auf Youtube), weitermachen, auch wenn das Ergebnis nicht auf Anhieb so aussieht, wie man es sich wünscht – all das kann man beim Stricken lernen. Und auch, dass in jedem Kleidungsstück viel Arbeit steckt und bei einem T-Shirt für einen Euro neunundneunzig wahrscheinlich irgendetwas nicht stimmt.
Stricken schafft Verbindungen, denn es ist, genau wie Musik oder Kunst, eine Sprache, die überall verstanden wird. Beim gemeinsamen Stricken kann man erleben, wie es ist, einfach dazuzugehören, gerade wenn man neu in der Stadt oder im Land ist: Zusammensitzen, die Nadeln klappern lassen, etwas Schönes teilen, sich gegenseitig Mut machen. Und nebenbei einfach reden, einander kennen- und verstehen lernen. Dann ist es plötzlich ganz egal, ob eine am liebsten Rammstein, Helene Fischer oder die Cello-Suiten von Bach hört.
Stricken macht uns zu einsichtigeren, zufriedeneren Menschen, die Wertschätzung erfahren und diese auch zeigen können. Zu Menschen, die andere annehmen, auch wenn sie anders sind. Die Dinge anpacken, die Lösungen suchen und ausdauernd arbeiten, bis sie ihr Ziel erreicht haben – statt bloß zu schimpfen oder schlimmstenfalls ihren Frust an anderen auszulassen. Was wir hier machen – mit unseren bunten Garnen und unseren Nadeln – ist das Gegenteil von Gewalt und Zerstörung. Wir schaffen etwas, wir stellen etwas her, das Wärme und Liebe schenkt.
Kurzum: Stricken macht die Welt besser.
Vielleicht nur ein kleines bisschen, aber auf jeden Fall besser.

Martina Behm
Strickdesignerin
www.strickmich.de


Illustration: Julie Levesque

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